Der innere Kritiker — Die innere Kritikerin

 

„Immer verliere ich alles!“, „Wie kann ich mich nur so doof anstellen?“, „Oh, die hat aber einen schönen Mantel, meine Haare würden in dem Mantel bestimmt gelb aussehen…“, „Das habe ich wirklich gut gemacht!“, „Nie kann ich mir was merken!“, „Alle anderen arbeiten viel schneller und besser als ich und gehen abends auch noch zum Sport!“, „Ich kann wirklich gar nichts richtig machen!“, … So oder ähnlich klingen unsere inneren Dialoge. Morgens stehen wir auf und gehen ins Bad, um uns fertig zu machen für den Tag.

Doch wie häufig machen Sie sich morgens schon fertig, im Sinne von inneren Dialogen? „Oh, wie sehe ich denn heute Morgen aus?“, etc.

 

Inhaltsverzeichnis

Wir tragen viele, verschiedene innere Stimmen in uns. Jede dieser inneren Stimmen hat eigene Annahmen über uns und über die Welt und vertritt gewisse Regeln und Moralvorstellungen. Die Stimme, die uns im Alltag jedoch am stärksten beeinflusst, ist die Stimme unseres inneren Kritikers.

Denn, die Stimme unseres inneren Kritikers kann oftmals ganz schön gemein und bewertend sein. Aus diesem Grund versuchen wir häufig unseren inneren Kritiker einfach zu ignorieren und ihm keine Bedeutung beizumessen. Jedoch hilft diese Strategie meistens nicht, da wir den Großteil unserer Gedanken nicht bewusst wahrnehmen. Daher „hören“ wir die Stimme des inneren Kritikers unbewusst, dies löst in uns wiederum schwierige Emotionen aus und wir fühlen uns schlecht, auch wenn wir uns vorgenommen hatten, unserer inneren Stimme nicht zuzuhören.

Deshalb ist es sinnvoll sich intensiv mit der Entstehung unseres inneren Kritikers auseinanderzusetzen, um zu verstehen, wie diese innere Stimme entstanden ist und welchen Zweck sie erfüllt.

 

Entstehung des inneren Kritikers

Unser innerer Kritiker ist „ein Versuch des Kindes, das wir früher waren, unsere Beziehungen zu schützen, unsere Eltern bei uns zu halten, mehr Zuwendung zu erfahren und Strafe oder Liebesentzug zu entgehen." (Pigorsch, 2019, S.19)

Unser innerer Kritiker ist demnach die Stimme, die uns in unserer Kindheit geholfen hat, sich an unsere Bezugspersonen und ihre Erwartungen anzupassen. Unsere innere Stimme ist durch Erziehung und Sozialisation entstanden und wurde von verschiedensten Bezugspersonen, die im Laufe unseres Lebens für uns wichtig waren, geprägt.

Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass dies ein vollkommen natürlicher Prozess ist, den nahezu alle Kinder durchlaufen. Es ist für das Überleben eines Kindes notwendig sich an die Regeln und Normen zu halten, die die Bezugspersonen vorleben. Unser innerer Kritiker ist demnach zuallererst ein innerer Antreiber, der uns hilft, Erfahrungen zu bewerten und einzuordnen. Zudem hat der innere Kritiker eine Schutzfunktion. Ziel aller Kommentare und Bewertungen unseres inneren Kritikers ist es, uns vor Verletzungen zu schützen und uns Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

 

Wann ist ein innerer Kritiker schädlich und wann nicht?

Wie bereits dargestellt, hat jeder von uns innere Stimmen. Doch bei manchen Personen scheinen sich diese negativer auf das psychische Wohlbefinden auszuwirken als bei anderen.

„Der Ton macht die Musik!“

Dies gilt auch für unsere inneren Stimmen. Aus diesem Grund ist es essenziell wichtig, genau hinzuhören und aufzupassen, in welchem Ton unser innerer Kritiker mit uns spricht (Pigorsch, 2019).

Spricht Ihr innerer Kritiker motivierend mit Ihnen und sagt beispielsweise: „Komm streng dich an, die letzten fünf Seiten kannst du heute auch noch lesen!“, kann uns dies beflügeln und uns helfen, unsere Ziele zu erreichen. „Du schaffst es nicht mal die paar Seiten noch zu lesen, du kannst wirklich gar nichts!“ wäre hingegen fatal, da der bisherige Erfolg nicht anerkannt wird und der Fokus nur auf den Misserfolg gelegt wird.

 

 

Den eigenen inneren Kritiker kennenlernen

An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine Übung mitgeben, die Ihnen helfen kann, Ihren inneren Kritiker besser kennenzulernen und seine Tonlage zu analysieren.

Nehmen Sie sich jeden Tag fünf Minuten Zeit, suchen Sie sich einen ruhigen Ort, schalten Sie Ihr Handy auf lautlos und hören Sie in sich hinein. Nach kurzer Zeit werden die ersten Gedanken und Situationen in Ihrem Kopf auftauchen. Möglicherweise denken Sie darüber nach, wie Sie auf einen Kommentar in einem Meeting reagiert haben und fragen sich, ob das Verhalten angemessen war.

Ihre Aufgabe ist es nun, alle Gedanken, Gefühle und Kommentare, die auftauchen zu Papier zu bringen. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen in den Kopf kommen, ob positiv oder negativ.

Sinn diese Übung ist es, sich der Stimme Ihres inneren Kritikers bewusst zu werden. Meist kennen wir die „Standard“-Sätze unseres inneren Kritikers nicht, doch mit der Zeit werden Sie Ihren inneren Kritiker besser kennenlernen. Sie werden lernen wiederholende Satzmuster zu erkennen. Dies nimmt dem inneren Kritiker die Schärfe.

 

Der liebevolle Begleiter – die liebevolle Begleiterin

Haben Sie Ihren inneren Kritiker kennengelernt, kann es sinnvoll sein, eine Gegenstimme zu schaffen. Denn, grundsätzlich ist Selbstkritik positiv. Richtig formuliert, kann sie uns motivieren und helfen, an unseren Fähigkeiten und Zielsetzungen zu arbeiten.

Die Gegenstimme hat einen liebevollen Charakter und nimmt die fiesen Kommentare des inneren Kritikers auf und stellt Fragen, aufgrund derer eine rationale Entscheidung getroffen werden kann, ob die Einschätzung des inneren Kritikers angemessen ist.

Ein Bespiel:
Innerer Kritiker: „Du bist doch viel zu alt, um noch den Job zu wechseln. Niemand stellt so alte Leute ein!“

Liebevoller Begleiter:

  • „Was hat mein Alter mit meinen beruflichen Plänen zu tun?“
  • „Könnte meine Erfahrung nicht auch von Vorteil sein?“
  • „Gibt es wirklich keine Menschen, die in meinem Alter einen Wechsel erfolgreich vollzogen haben?“, etc. (vgl. Diesbrock, 2016)

Durch das Stellen der Fragen durch unseren liebevollen Begleiter können wiederholende Gedankenmuster unterbrochen werden. Ziel ist eine realistische Selbsteinschätzung der Situation und der Gefühle, die mit der Situation verbunden sind. Beispielsweise könnte durch das Stellen der Fragen des liebevollen Begleiters herauskommen, dass ich mir lieber einrede, dass ein Wechsel unmöglich ist, anstatt mir einzugestehen, dass ich Angst habe zu scheitern.

Hören wir unserem liebevollen Begleiter zu, lernen wir uns nicht nur besser kennen, sondern wir schaffen auch Raum für neue Gedanken.

 

Literaturverzeichnis
Diesbrock, T. (2016): HERMANN! Vom klugen Umgang mit dem inneren Kritiker. Herder Verlag GmbH:
Freiburg im Breislau.
Pigorsch, B. (2019): Der innere Kritiker von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Beltz Verlag: Weinheim.

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