Unser beruflicher Alltag ist in der heutigen Zeit von Veränderungen geprägt. Dies ist so alltäglich geworden, dass wir uns häufig nicht mehr bewusst machen, was dies für unsere Emotionen und unsere psychische Gesundheit bedeutet. Wir möchten Ihnen an dieser Stelle ein Phasen-Modell vorstellen, das die Emotionen in Veränderungsprozessen beschreibt. Das Modell wurde ursprünglich von der Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross im Bereich der Trauerforschung entwickelt. Das Modell wurde anschließend unter anderem von Claudia Kostka auf den Unternehmenskontext übertragen.
Wie stark die Emotionen sind, die durch Veränderungen hervorgerufen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Beispielsweise ist es entscheidend, ob wir die Veränderung selbstinitiiert haben oder ob diese von außen erzwungen wird.
Veränderungen zwingen uns dazu, unsere Komfortzone zu verlassen. Aufgezwungene Veränderungsprozesse erzeugen hier ein starkes Gefühl von Ohnmacht. Die Gefahr ist, dass die Betroffenen lange in den Phasen des Schocks und der Ablehnung verweilen. Bei selbstinitiierten Veränderungen ist es hingegen leichter die Phase der Verunsicherung zu durchbrechen und in die Lernphase überzugehen.
Passt die Veränderung nicht in die bestehenden Gewohnheiten, ist die Reaktion Verwirrung, Durcheinander und Unsicherheit. „Was soll das? Das verstehe ich nicht!“ – diese oder ähnliche Sätze sind erste sprachliche Reaktionsmuster, mit denen diese Phase artikuliert wird. Der Körper reagiert auf die Unsicherheiten mit Schock oder Angst. Der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt, die Körperfunktionen werden auf Angriff oder Flucht ausgerichtet. Zudem erwartet unser Umfeld häufig Veränderungsbereitschaft. Jedoch erschweren biologische Strukturen und Gewohnheiten das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen.[1]
Das in der ersten Phase auftretende Gefühl des Kontrollverlustes fördert das Bedürfnis, die eigene Handlungskompetenz wiederherzustellen. Glaubenssätze, Werte und Einstellungen werden aktiviert, um das vorherbestehende Weltbild wiederherzustellen.[2] „Das hat bei uns noch nie geklappt! Das ist theoretisch gut, die Praxis sieht aber anders aus“ – Diese Sätze sind typische Killerphrasen, die den inneren Widerstand gegen äußere Veränderungen deutlich machen.
Wird die Einsicht immer stärker, dass eine Veränderung notwendig ist, sinkt damit die eigene wahrgenommene Kompetenz. In unserem Kulturkreis ist es üblich, Dinge mit richtig oder falsch zu bewerten. Das in Frage stellen gewohnter Denk- und Handlungsmuster führt zu der Annahme, diese alten Muster könnten „falsch“ gewesen sein. Um das eigene Weltbild zu schützen und die eigenen Werte nicht in Frage stellen zu müssen, folgen in dieser Phase häufig Ersatzhandlungen oder Schuldzuschreibungen.[3]
Ersatzhandlungen im Beruf können beispielsweise so aussehen: Ich vertiefe mich in ein kompliziertes Software-Problem, damit ich mich nicht mit den Veränderungen beschäftigen muss. Oder: Ich stürze mich in die Organisation von einem Event oder einer Fachtagung, um mich fachlich nicht mit den anstehenden Veränderungen auseinandersetzen zu müssen. Zudem können Ersatzhandlungen im privaten Bereich genutzt werden, um den eigenen Selbstwert zu erhöhen, z.B. ein neuer Haarschnitt, neue Kleidung, eine neue Spielkonsole/Computer, eine teure Uhr, etc.
Neben den Ersatzhandlungen zeigen sich auch oft Übersprungshandlungen. Diese Übersprungshandlungen können genutzt werden, um Stress abzubauen, den Veränderungen mit sich bringen. Ein Beispiel: Da Stress im Arbeitsalltag nicht adäquat abgebaut werden kann, kippeln wir emotional aufgeladenen Meetings beispielsweise mit dem Stuhl oder fangen an auf einen Marathon zu trainieren, wenn es in der Arbeit gerade hochhergeht.
Der innere Konflikt spitzt sich zu. Die eigene wahrgenommene Kompetenz sinkt auf ein Minimum. Diese Phase wird als Phase der Entscheidung oder Wendung bezeichnet. Sie birgt die Chance zur emotionalen Akzeptanz, das neue Wege gegangen werden müssen, birgt aber auch das Risiko wieder in die Phase der Ablehnung zu verfallen.
Auf die emotionale Akzeptanz folgt zwangsläufig die Phase des Entdeckens und des Lernens, es werden neue Erfahrungen mit dem Thema gesammelt und Möglichkeiten ausgelotet. Anfangs sind die neuronalen Verbindungen noch zart, diese werden durch Wiederholungen zunehmend stärker. Positive Emotionen fördern den Lernprozess.
Nach einer Phase des intensiven Arbeitens und Lernens kommt irgendwann der Moment, in dem ein AHA-Effekt erlebt wird. Die inneren Konflikte, Wünsche, Ziele verlieren an Stärke, denn die neuen Handlungsmöglichkeiten und Muster nehmen immer mehr Raum ein. Das eigene Kompetenzempfinden steigt.[4]
Die neuen Denk- und Verhaltensweisen werden zu Routinen. Der bewusste Lernprozess ist abgeschlossen.[5] Die eigene Kompetenz ist vollständig wiederhergestellt und die gelernten Prozesse sind in die eigenen Wertvorstellungen und Denkmuster integriert.
Um tiefgreifende Veränderungen zu verarbeiten und zu bewältigen, ist es notwendig, die genannten Schritte zu durchlaufen. Werden die Phasen bei emotionalen Veränderungen nicht durchschritten, wird das persönliche Kompetenzempfinden womöglich nicht vollständig wiederhergestellt. Es entsteht eine dauerhafte Phase der Unsicherheit und der Zweifel. Machen Sie sich daher bewusst, wie viel Energie und Kraft Veränderungsprozesse benötigen und achten Sie auf sich bzw. zeigen sie Verständnis und Mitgefühl für andere, die sich in solchen Prozessen befinden.
Die Verarbeitung von Veränderungen braucht Zeit, dies wird durch das Phasenmodell deutlich. Behalten Sie jedoch im Kopf, dass wir Ihnen hier ein idealtypisches Modell vorgestellt haben. Häufig sind die Phasen im Alltag nicht klar abgrenzbar, Prozesse gehen ineinander über und es treten Wiederholungen und Rückschritte auf.
Betriebliche Veränderungsprozesse sorgen dafür, dass wir unter immer größerem Druck stehen und dass wir ständig Neuerungen ausgesetzt sind. Immer weniger Menschen, müssen in immer kürzerer Zeit ein immer umfangreicheres Arbeitspensum erledigen. Aufgrund der Vielzahl an Veränderungen, denen wir im Laufe unserer beruflichen Laufbahn ausgesetzt sind, fällt es uns manchmal schwer, sowohl die positiven als auch die negativen Seiten von Veränderungen zu sehen.
Durch Veränderungen können wir nicht nur inhaltlich viel lernen, wir können auch persönlich wachsen. Krisen und Ausnahmesituationen führen dazu, dass wir uns mit uns und unserer Persönlichkeit auseinandersetzen müssen. Wir können so unser Wissen über unsere Gewohnheiten und Kompetenzen vertiefen und einen positiven Umgang mit schwierigen Emotionen erlernen. Dieses Wissen hilft uns nicht nur emotional und beruflich flexibel zu bleiben, sondern unterstützt uns auch dabei, einen stabilen Selbstwert zu erwerben, der von äußeren Rahmenbedingungen unabhängig ist. Und natürlich führen Veränderungsprozesse im besten Fall zu einer Verbesserung von Arbeitsprozessen und damit zu einer deutlichen Arbeitserleichterung.
Veränderungen führen anfangs fast immer zu Produktivitätseinbrüchen und einer Verschlechterung des Arbeitsklimas. Die Gründe hierfür sind der emotionale Stress, der durch die Veränderung ausgelöst wird. Es gibt verstärkt Konflikte zwischen KollegInnen, MitarbeiterInnen und Führungskräften, da Zuständigkeiten und Aufgaben neu verteilt werden müssen. Der Stresspegel steigt, während gleichzeitig die wahrgenommene Kompetenz und der Selbstwert der MitarbeiterInnen sinkt.
Veränderungsprozesse kosten Kraft und Energie. Dies sollten Sie insbesondere berücksichtigen, wenn Sie als Führungskraft Veränderungen in Ihrem Team umsetzen. Räumen Sie bei größeren Veränderungen genug Zeit ein, um Ihre MitarbeiterInnen emotional abzuholen und beziehen Sie Ihre MitarbeiterInnen in die Veränderungsprozesse mit ein. Dies hilft, den MitarbeiterInnen den eigenen Kompetenzverlust abzufangen und schneller in die Phase der Kompetenz und des Lernens hineinzufinden.
Literaturverzeichnis
Viel Inhalt, kaum Werbung. Nur circa alle 6 Wochen.